Die Militärakademie in Colmar
Die Militärakademie war nur dem Namen nach militärisch. Sie war eine rein protestantische Schule für meist adlige Jungen, die sich eines Tages vielleicht für eine militärische Laufbahn entscheiden würden; andere Konfessionen waren nicht zugelassen. Eine kleine Schule, die meist nicht mehr als 30 Zöglinge zählte; ein unauffälliges Institut in der Provinz, das nie von sich reden machte, sollte man meinen. Aber es kam anders: die Militärakademie wurde in ganz Europa bekannt und trug zum Ruhm der Stadt erheblich bei.
Als Pfeffel die Militärakademie gründet, hat er den Tod seines Sohnes Christian noch nicht verwunden. Dieser soll ihm im Traum erschienen sein und ihn zu seiner Berufung geführt haben. In Wirklichkeit hat Pfeffel seinen Weg schon mehrere Jahre vor Christians Tod gefunden, wie die 1769 veröffentlichten Dramatischen Kinderspiele bezeugen. Es ist aber nicht die pädagogische Berufung allein, die Pfeffel animiert : wer leben will, muss essen, und die Dichtung ist eine brotlose Kunst.
Bei der Gründung seiner Schule lässt Pfeffel sich von zwei pädagogischen Vorbildern inspirieren: dem Deutschen Basedow, einem Anhänger der Ideen Rousseaus, und Baron Salis Marschlin, der eine Erziehungsanstalt in Graunbünden nach den Basedow´schen Prinzipien leitet. "Die Schule nimmt alle Kinder auf, ohne Rücksicht auf ihre Bestimmung oder ihr Vaterland", kann man in dem Werbeprospekt der Schule lesen. "Ein edles Herz, ein Geist, der sich der Kultur bis zu einem gewissen Grad zu öffnen vermag, eine gute Konstitution sind die einzigen Eigenschaften, die wir vom Kandidaten fordern." 1781 beschreibt Pfeffel seine Schule mit folgenden Worten: "Unsere Anstalt ist keine Eliteschule für Soldaten oder Händler, sondern eine Bildungsstätte für all diejenigen, die sich vom Gewöhnlichen abheben wollen."
Das Aufnahmealter liegt zwischen 10 und 14 Jahren. Drei Jahre dauert die Ausbildung. Der Unterricht ist breit gefächert: Sprachen, Geschichte, Mathematik, Musik, sowie Fechten, Reiten und Wappenkunde. Schließlich sollen die Zöglinge sich später in der großen Welt zurechtfinden können. Auf Manieren und Haltung wird besonders geachtet. Unter der Anleitung ihrer Lehrer gehen sie auf Bälle und hofieren die Obrigkeit. Die Uniform, die Unterteilung in Kompanien und die Disziplin sind militärisch, dafür steht ja auch der Name der Anstalt. Aber die Erziehung des Herzens steht an erster Stelle in diesem Institut, das Redlichkeit für noch wichtiger als Leistung und Intelligenz hält. Pfeffel will keine Elite ausbilden, sondern rechtschaffene Männer: "Anstatt gelehrte Bürger in meinem Königreich heranzuzüchten, hätte ich zuallererst anständige Bürger aus ihnen machen sollen", stellt der König in der Fabel Die Aufklärung ernüchtert fest.
Der Militärakademie ist in den 20 Jahren ihrer Existenz ein großer Erfolg zugeschrieben worden. Insgesamt 288 Schüler aus zahlreichen Ländern werden ausgebildet. Sie kommen vor allem aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland, Frankreich, Russland, Schottland, Schweden, einer sogar aus Amerika. Ganz Europa pilgert nach Colmar, um diese einzigartige Anstalt zu besichtigen- eine an Rousseaus Ideen orientierte Schule mit militärischem Touch, deren Leiter ein blinder Dichter ist. 2198 Persönlichkeiten tragen sich innerhalb von 20 Jahren in das Fremdenbuch des Dichters und Schulleiters ein, unter ihnen 41 Prinzen, 36 Universitätsprofessoren, 28 Rechtsanwälte und Juristen - sowie 343 Frauen. Die Liste ist beeindruckend. Nie in seiner Geschichte sollte Colmar europaweit bekannter sein als zu Zeiten der Militärakademie.