Der Triumph der Trikolore
"Niemals in meinem langen Leben habe ich eine so große Begeisterung beim Volk gesehen wie die, die wir die Tage nach der Befreiung am 18. November erlebten. Die Regimenter marschierten in Colmar ein, eines nach dem anderen, gerahmt von einer tobenden Menschenmenge in den Farben der Trikolore. Ein Meer von blau-weiß-roten Fahnen hatte die Stadt erobert und zahlreiche Elsässerinnen hatten sich, um ihre Befreier würdig zu empfangen, in aller Eile traditionelle Trachtenkleider in den französischen Farben genäht. Vertreter der Regierung wie Clemenceau und Poincaré und Armeeführer wie Joffre und Foch wurden in den folgenden Wochen mit einer Herzlichkeit und einem Prunk empfangen, wie man sie nie zuvor gesehen hatte."
Joseph Rey, der von 1947 bis 1977 Bürgermeister von Colmar sein wird, teilt mit tausenden Colmarern die ausgelassene Freude der ersten Tage nach der Befreiung. Nach den Zeiten der Entbehrung und der Trauer können sie ihrer Begeisterung endlich freien Lauf lassen. Was ist ansteckender als die leidenschaftliche Erregung, welche die gesamte Bevölkerung erfasst hat - mit Ausnahme der Deutschen, die die Stadt noch nicht verlassen haben. Colmar öffnet großherzig seine Arme. Plötzlich ist Frankreich das Land, das alle Tugenden verkörpert. Das Paradies hat die Farben der Trikolore. Die Mauern sind mit patriotischen Plakaten und Bekanntgaben zugepflastert. Unzähliche Fahnen schmücken die öffentlichen Gebäude und die Privathäuser. Blättergirlanden verbinden ein Haus mit dem anderen. Eine freudige Menge hat von der Stadt Besitz ergriffen, bekundet ihre Begeisterung mit den paar Brocken Französisch, derer sie mächtig ist: "Jugendliche Banden sangen mit elsässischem Akzent: Vive la France, Vive la République (Es lebe Frankreich, es lebe die Republik)."
"Und dann defilierten die Infanterieregimenter immer wieder. Ihnen voraus ging eine Musik, die «Elsass und Lothringen werdet ihr nicht kriegen» spielte. Es folgten die Kavallerieschwadronen mit blankgezogenen Säbeln, deren Trompeten sich in fröhlichen Fanfaren ergingen" (Pierre Burger). Die Menge steht in den Straßen oder hängt aus dem Fenster. Sie kann nicht genug kriegen von den Märschen der Infanterie, von den Paraden der Kavallerie. Die Räder der Munitionswagen machen einen solchen Lärm, dass die Menschen davon ganz benommen werden. Züge junger Mädchen in elsässischer Tracht und örtlicher Vereine mit wehendem Banner vervollständigen das berauschende Bild. Die Colmarer mobilisieren sich erneut für die Parade am 22. November, als General de Castelnau, Befehlshaber der ostfranzösischen Truppen, bei strahlender Sonne in die Stadt einzieht. Und auch am 10. Dezember, beim Besuch des Präsidenten der Republik Raymond Poincaré in Begleitung des Ratspräsidenten Georges Clemenceau, hat die Begeisterung nicht nachgelassen.