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Der Colmarer Freiheitsbrief

Der vom 29. Dezember 1278 datierte Freiheitsbrief ist ein Dokument, dessen nüchterne Sprache kaum ihresgleichen hat. Der Unterzeichner ist Rudolf von Habsburg, der sich zu diesem Zeitpunkt in Wien aufhält. Auf den ersten Blick ist die Urkunde verwirrend. Sie enthält eine nach heutigen Maßstäben reichlich unlogische Folge von 44 Bestimmungen, die straf-, privat- und verfahrensrechtliche Fragen betreffen. Trotzdem ist die Urkunde für die Geschichte der Stadt von einschneidender Bedeutung. Der Freiheitsbrief festigt die Rechte der Stadt und regelt die Beziehungen zwischen ihren Einwohnern. Zwar stiftet er kein Rechtssystem im modernen Sinn, aber er liefert ein schriftlich festgehaltenes Rahmenwerk. Manche Punkte legt er bis ins Detail fest, während man es bisher vorgezogen hatte, sich auf alte Privilegien zu berufen, ohne diese genauer zu benennen.

Der in deutscher Sprache verfasste Freiheitsbrief festigt die städtische Autonomie. Die Bürger sollen das Schicksal ihrer Stadt von nun an selbst bestimmen. Sie haben das Recht, Gesetze im Interesse der Stadt zu erlassen. Der Schultheiß, der die Exekutive inne hat, darf nur aus ihren eigenen Reihen stammen, das heißt, er muß ein in Colmar wohnhafter Bürger sein. Damit wird jeder Aneignungsversuch von außen zumindest auf dem Rechtsweg unterbunden.

Desweiteren gesteht der Freibrief den Colmarer Bürgern das Recht zu, Lehnsgüter zu besitzen, ein Privileg, das bis dahin dem Adel vorbehalten war - ein wichtiger Schritt auf dem Weg der bürgerlichen Emanzipation. Jeder, selbst ein Leibeigener, kann von nun an Bürger werden. Der Grundherr hat ein Jahr Zeit, ihn zurückzufordern. Nach Ablauf dieser Frist ist der Leibeigene frei, gemäß dem Motto "Stadtluft macht frei". Die adligen Bürger, die dem König dienen, brauchen keine Steuern zu zahlen. Die Uzburger, die Jahrmarktshändler, sind nicht gezwungen, ganzjährig in der Stadt zu wohnen. Der Rat und der Schultheiß benennen zwei unbescholtene Bürger, denen die Kontrolle von Gewichten und Maßen obliegt. Diese Bestimmung betrifft sowohl die Grundnahrungsmittel (Getreide, Mehl, Wein), als auch den Handel (Gold, Silber).
 
Die strafrechtlichen Regelungen des Freibriefes geben einen hochinteressanten Einblick in die Colmarer Rechtsgepflogenheiten von damals. Es entsteht das Bild einer archaisch anmutenden Gesellschaft, in der Gewalt anscheinend zum Alltag gehörte. Mord innerhalb des Stadtgebietes wird mit der Enthauptung des Schuldigen und der Zerstörung seines Hauses geahndet. Das Duell als Rechtsmittel zur Schlichtung eines Streits ist erlaubt, aber nur zwischen Colmarer Bürgern. Ein Fremder darf einen Colmarer Bürger nicht zum Duell fordern. Der Freibrief erkennt auch das alte Gesetz der Wiedervergeltung an. Dies sind nur einige wenige Beispiele aus der bemerkenswert komplexen Colmarer Charta. In den folgenden Jahren gewähren der Kaiser oder ein Angehöriger des Hauses Habsburg zahlreichen Städten einen Freibrief: Delle, Ensisheim, Kaysersberg, Mülhausen, Münster und Türkheim im Elsass, des weiteren Aarau, Neuenburg, Klein-Basel, Pruntrut und Freiburg im Breisgau.


 
Der Habsburger Doppeladler am Koïfhus (Altes Zollhaus), 15. Jh.