Die Cholera in Colmar
Sie ist die letzte Epidemie einer langen Serie. Auch die bekannteste, weil das, was wir über sie wissen, nicht auf Chroniken oder Legenden beruht, sondern auf Beobachtungen und Statistiken. Offiziell sind 505 von 21348 Einwohnern an ihr erkrankt, 349 davon sterben. Rein theoretisch ist das eine niedrige Ziffer, aber gemessen an den Gefühlen und Ängsten, die sie auslöst, ist sie um ein Vielfaches höher. Denn die Epidemie bleibt vor allem ein Trauma. Ein Schock, der die ganze Bevölkerung trifft. Und diejenigen, die mit der Cholera direkt in Berührung kommen, trifft er ganz besonders tief. Er läßt Zweifel bei denjenigen aufkommen, die bisher geglaubt haben, sie eindämmen zu können, er überwältigt diejenigen, die sowieso keine Hoffnung auf Heilung haben. Ist die Cholera ein unabwendbares Schicksal, das nur die Armen trifft, die mittellosen Bevölkerungsschichten, denen es an Hygiene mangelt?
Es hat ganz den Anschein. Man weiß, wie sich diese Pandemie ab 1817 von Asien aus in sechs aufeinanderfolgenden Schüben über die ganze Welt ausbreitete. Die Übertragung geschieht immer durch den Mund; die Ursache ist meist verseuchtes Wasser. Die Qualität des Wassers ist also ausschlaggebend: man trinkt es, man wäscht sich und säubert Nahrungsmittel mit ihm. In Colmar und anderswo.
Die Berichte aus den 1830er Jahren, als die Cholera sich in Europa ausbreitet und im Département Haut-Rhin eine Gesundheitsbehörde geöffnet wird, sind erdrückend. Die Sauberkeit der Straßen und Häuser, in der Stadt und auf dem Land lässt viel zu wünschen übrig. Die Ställe, Misthaufen und Latrinen in den Innenhöfen sind die reinsten Infektionsherde. Zwar werden die öffentlichen Gebäude mit Chlorwasser gereinigt und mit Kalk geweißt; die Privathäuser werden aber nur vereinzelt desinifiziert. Und was die Hygienemaßnahmen betrifft, die jeder Einzelne auf Anordnung des Bürgermeisters befolgen soll, so finden sie nur ein mäßiges Echo.
Kirchgasse, Michel Hertrich, 1876, Unterlindenmuseum.
Und so sind es die Einwohner der populären Viertel mit den engen und schlecht durchlüfteten Gassen, die den höchsten Tribut zahlen. Die Rue de la Herse, die Rue de la Poissonnerie, die Rue de la Hardt und die Rue Haslinger stehen an erster Stelle.174 der 349 Toten waren Fabrikarbeiter und deren Angehörige, weitere 104 haben als Tagelöhner gearbeitet. Untersuchungskommissionen versuchen, den Ursachen zu Leibe zu rücken. Wieder einmal wird festgestellt, dass die meisten Häuser in der Stadt keine Abortgrube haben und die Fäkalien einfach auf die Misthaufen in den Innenhöfen befördert, wenn nicht gar direkt in den nächsten Fluss gekippt werden. Die mehr als überfällige Sanierung wird jedoch aufgeschoben: die Stadträte wollen es sich nicht mit den Bürgern verderben, indem sie ihnen zusätzliche Ausgaben aufzwingen.